Dr. Prasse & Partner

Ihre Spezialisten im
Franchise-Recht

LG Bochum, Urteil vom 28.04.1999, Az.: 2 O 7 / 99 („Nachhilfeschulen/Studienkreis“)

Zur Sittenwidrigkeit eines Franchisevertrages wegen Knebelung

Leitsatz

Leitsätze der Redaktion: 1. Zu den Anforderungen der Nichtigkeit eines Franchisevertrages wegen sittenwidriger Knebelung 2. Die Sittenwidrigkeit eines Franchisevertrages kann sich aus der Gesamtbetrachtung aller vertraglichen Rechte und Pflichten ergeben. Das Ungleichgewicht zwischen den beiden Vertragspartnern kann sich ergeben, wenn der Franchisenehmer dem Franchisegeber wirtschaftlich vollständig ausgeliefert ist, ohne im Gegenzug wie ein freier Unternehmer selbständig wirtschaftlich handeln zu können. Das LG Bochum hatte über die Klage einer Franchisenehmerin des Franchisesystems "S." zu entscheiden. Die Beklagte betreibt das "S".-Franchisesystem im Bereich der Nachhilfeschulen. Sie bietet ihren jeweiligen Vertragspartnern ihr Nachhilfeschulenkonzept in Form einer "atypischen stillen Beteiligung" ab und erhebt eine Umsatzbeteiligung. Die Klägerin, eine examinierte Lehrerin hatte zwei "S."-Nachhilfeschulen betrieben. Die Klägerin (Franchisenehmerin) macht die Unwirksamkeit des Vertrages geltend. Diese ergebe sich aus § 138 BGB und aus dem damaligen AGB-Gesetz (heute §§ 305 ff. BGB). Sie stützte sich darauf, dass es sich bei Vertrag um einen typischen Franchisevertrag handele und nicht um einen Gesellschaftsvertrag, so daß das AGB-Gesetz trotz des Ausschlusstatbestandes für Franchiseverträge, § 23 Abs. 1 AGBG anwendbar sei.

Die Entscheidung

Die Klage ist ... begründet, da der zugrundeliegende Beteiligungsvertrag ... nichtig ist. Die Nichtigkeit ergibt sich aus § 138 Abs. 1 BGB. Danach ist ein Rechtsgeschäft dann nichtig, wenn es gegen die guten Sitten verstößt. Gegen die guten Siffen verstößt ein Rechtsgeschäft, wenn es gegen das nstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (Palandt/Heinrichs § 138 Rdn. 2 m.w.N.). Die Rechtsprechung hat zur Ausfüllung dieser allgemeinen Definition Fallgruppen entwickelt. Anerkannt ist insbesondere, daß sogenannte ,,Knebelungsverträge" gegen die guten Sitten verstoßen können ... Die Sittenwidrigkeit kann sich dabei aus dem Gesamtcharakter des Rechtsgeschäftes ergeben, das heißt aus einer zusammenfassenden Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck des Geschäftes (vgl. Palandt/Heinrichs § 138 Rdn. 8 m.w.N.). Unter Zugrundelegung dieser Anforderungen ist der vorliegende Vertrag nach seinem Gesamtbild als sittenwidrig einzustufen, da er die wirtschaftliche Handlungsfreiheit der Klägerin in wesentlichen Teilen lähmt, ihr andererseits aber das volle und alleinige wirtschaftliche Risiko aufbürdet. Zwar bestimmt § 6 Ziff. 1 des Vertrages, daß allein der Inhaber zur Geschäftsführung berechtigt und verpflichtet ist; in Ziffer 2a)-i) erfährt diese Befugnis jedoch deutliche Einschränkungen. Insbesondere untersagt § 6 Ziff. 2d) der Klägerin, im ersten Geschäftsjahr Rechtsgeschäfte in einer Größenordnung ab 5.000,00 DM und ab dann in einer Größenordnung von mehr als 10.000,00 DM ohne Einwilligung der Beklagten abzuschließen. Damit aber ist ein wirklich selbständiger Geschäftsspielraum der Klägerin in ganz erheblicher Weise eingeschränkt. Des weiteren muß die Klägerin ihre Steuererklärungen jeweils vor Abgabe an das Finanzamt von der Beklagte freigeben lassen (§ 6 Ziff. 2h). Ferner bedarf die Klägerin gem. § 6 Ziff. 2d-g) zu den die Inhaberschaft betreffenden Rechtsgeschäften jeweils der Zustimmung der Beklagten, während der Beklagte sich ihrerseits gern. § 12 derartige Rechte insoweit ohne Zustimmung der Klägerin vorbehalten hat. Ferner verpflichtet der zugrundeliegende Vertrag die Beklagte in § 23 dazu die gesamte Debitorenbuchhaltung über die Beklagte abwickeln zu lassen. Dies mag auf der einen Seite zwar durchaus eine Dienstleistung der Beklagten von einigem praktischen Nutzen sein; es stellt auf der anderen Seite aber ebenfalls eine Beschränkung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit der Beklagten dar, die letztlich nicht mit dem Erscheinungsbild eines wirtschaftlich selbständig Handelnden korrespondiert. So ist es der Klägerin in praktischer Hinsicht insbesondere verwehrt, sich selbst bestimmte Banken auszusuchen, mit der sie zusammenarbeiten möchte, was die Möglichkeit, sich möglichst günstiges Kreditkapital zu verschaffen, deutlich erschweren dürfte. Dies aber ist für einen selbständig tätigen Unternehmer von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung. Des weiteren schränkt auch die ,,Gewinnbeteiligung" gemäß § 11 in der konkreten Ausgestaltung den Handlungsfreiraum der Klägerin in wirtschaftlicher Hinsicht massiv ein. Anders als nämlich die Bezeichnung Gewinnbeteiligung vorgibt, ist die Beteiligung der Beklagten allein von deren Umsatz abhängig, was zu einer erheblichen Benachteiligung der Klägerin führt, weil diese Regelung die zur Steigerung des Umsatzes erforderlichen Kosten in keiner Weise berücksichtigt. Hinzu kommt, daß die Umsatzbeteiligung in einer Höhe von 13,5 % auf eine reale Gewinnbeteiligung in einer Größenordnung von ca. 40 bis 50% hinauslaufen dürfte. Wenn nämlich 13,5% des Umsatzes bereits abzuführen sind, muß die Klägerin letztlich vor Abzug der Umsatzbeteiligung eine Gewinnspanne von ca. 27 % erzielen, damit sich für die Klägerin ein Gewinn von 50 % Vorsteuern ergibt. Ferner ist die Klägerin auch unabhängig davon, ob sie überhaupt Umsatz oder Gewinn macht, gern. § 11 Ziff. 2 b) zur Zahlung von monatlich 1.160,00 DM verpflichtet. Zwar ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, daß ein Vertragspartner ein erhebliches Risikopotential zu tragen hat und unter Umständen auch Gefahr läuft, die eingegangenen Verpflichtungen nur schwer erfüllen zu können; dies erfordert dann aber im Gegenzug auch, daß derjenige, der das volle Risiko trägt, in hinreichendem Umfang selbst gestalterisch tätig werden kann. Hieran fehlt es vorliegend aber, wie oben bereits dargelegt. Hinzu kommt, daß die Klägerin auch den Mietvertrag wiederum nur als Untermieterin der Beklagten abgeschlossen hat und dieser mit seiner fünfjährigen Mietdauer hinter der Mindestvertragsdauer von 10 Jahren gem. § 2 des Beteiligungsvertrages zurückbleibt. Auch insoweit ist die Klägerin wiederum von der Beklagten und einer möglichen Mietvertragsverlängerung abhängig. ... Des weiteren spricht für die Nichtigkeit, daß die Klägerin nach einer immerhin mindestens 10 Jahre andauernden Vertragsdauer praktisch jede Chance genommen wird, in ihrem erlernten Beruf als Lehrerin tätig zu werden. So sieht der Vertrag in § 18 Ziff. 4 ein Jahr dauerndes und den Bereich von 50 Kilometer Luftlinie umfassendes Wettbewerbsverbot vor. Dies allein stellt sicherlich keinen sittenwidrigen Verstoß dar, da ein Interesse der Beklagten daran, daß der mit ihrer Hilfe aufgebaute Kundenstamm von dem Vertragspartner nicht ,,abgeworben" wird durchaus erkennbar ist. Problematisch wird diese Regelung jedoch vor dem Hintergrund, daß die Beklagte bei Beendigung des Vertragsverhältnisses einerseits gern. § 17 Ziff. 1 des Vertrages den gesamten Kundenstamm erhält und gem. § 15 Ziff. 5 auch an den stillen Reserven der Klägerin beteiligt wird, der Klägerin andererseits aber eine Entschädigung nur in Höhe von einem Monatsbeitrag pro unbefristet übernommenen Mitgliedsvertrag zustehen soll (§ 17 Ziff. 2 des Vertrages). Nach den von der Klägerin nachvollziehbar dargestellten Berechnungen, dürfte eine wirtschaftliche Absicherung der Klägerin für eine angemessene Zeit nach Vertragsbeendigung kaum gegeben sein. ... Ein greifbares Risiko der Klägerin ist dagegen nicht erkennbar. ... Die Kammer verkennt nicht, daß die oben genannten Regelungen für sich genommen durchaus - noch - als zulässig erachtet werden können. In einer Gesamtschau betrachtet, besteht jedoch ein derartiges Ungleichgewicht zwischen den beiden Vertragspartnern, daß die Klägerin der Beklagten wirtschaftlich vollständig ausgeliefert ist, ohne im Gegenzug dazu wie ein freier Unternehmer selbständig wirtschaftlich handeln zu können. Aus diesem Zusammenspiel ergibt sich die Sittenwidrigkeit des Rechtsgeschäftes.

Bitte stimmen Sie der Datenschutzerklärung zu.

Wir sind für Sie da:

Dr. Prasse & Partner mbB Rechtsanwälte

Hamburg: 040 46655420
München: 089 71692463
Zürich: +41 43 508 91 73

Sitz der Gesellschaft:
Rathausplatz 9
22926 Ahrensburg

Telefon (0 41 02) 6 95 96-0
Telefax (0 41 02) 6 95 96-11
E-Mail: office@prasse-partner.de

Die anderen Kanzleien sind Zweigstellen der Rechtsanwälte
Dr. Christian Prasse und Michael Strotmann