LG Frankfurt/Main, Urteil vom 10.12.1999, Az.: 3/8 O 28/99
Zum Ausgleichsanspruch des Franchisenehmers aus § 89 b HGB analog
Leitsatz
Das Landgericht Frankfurt am Main war das erste Gericht, das einem Franchisenehmer eine Ausgleichsanspruch in analoger Anwendung des § 89 b HGB zusprach. Nach Ansicht des LG Frankfurt war die faktische Weiterführung des Betriebs und damit verbunden die Übernahme aller Kunden des alten Franchisenehmers unter Mitwirkung des Franchisegebers ausreichend für die Bejahung des Ausgleichsanspruchs. Eine vertragliche Klausel, aus der sich die Pflicht zur Übertragung des Kundenstamms ergebe, hielt das Landgericht Frankfurt explizit nicht für erforderlich.
Zum Sachverhalt
Die Beklagte betreibt eine Großbäckerei und vertreibt die dort hergestellte Ware unter dem Namen ... über Verkaufsstellen, die sie im Rahmen eines Franchisesystems hält. Die Klägerin war Franchisenehmerin der Beklagten und betrieb die Verkaufsstelle ... Straße in Frankfurt Höchst in der Zeit von Februar 1997 bis Februar 1998. Die Klägerin verkaufte im eigenen Namen von der Beklagten bezogene Backwaren und betrieb ein Cafe, wobei sie sämtliche benötigten Waren von der Beklagten bezog. Die Klägerin erhielt eine nach Warenart gestaffelte Provision. Wegen der weiteren Einzelheiten des Franchisevertrages wird auf Bl. 12 ff. d.A. Bezug genommen. Die Klägerin hatte der Beklagten gemäß § 11 des Vertrages eine Kaution in Form einer Bürgschaft über DM 15.000,-- gestellt. Diese verlangte die Klägerin mit der Klage heraus. Außerdem verlangte die Klägerin von der Beklagten Zahlung restlicher DM 6.982,41 aus der Abrechnung für Februar 98. Sie forderte einen weiteren Betrag von DM 21.908,43 wegen eines unstrittigen Abrechnungsfehlers während der gesamten Vertragsdauer. Sodann verlangte die Klägerin DM 375,-- als Erstattung der angefallenen Bürgschaftszinsen.
Im Rahmen der Vorkorrespondenz hatte die Beklagte mit Schreiben vom 10.03.1998 angekündigt, die Bürgschaftssumme erst freizugeben und die Restzahlung 2/98 erst dann vorzunehmen, wenn die Klägerin ihren Auskunftsverpflichtungen aus dem Vertrag nachgekommen sei. Nachdem die Klägerin ihre Ansprüche angemahnt hatte, erklärte die Beklagte mit Schreiben vom 23.03.98 unter anderem: "was auch immer Sie aufgrund welchen Sachverhaltes dort aufarbeiten wollen, schon jetzt wollen wir anmerken, dass an Ihre Mandantin keinerlei Zahlungen geleistet werden und vermeintliche Ansprüche rechtshängig zu machen sind."
Unter dem 19.02.99 machte die Klägerin dem Grunde nach einen Ausgleichsanspruch gemäß § 89 b HGB geltend. Auch diesen verfolgt sie mit der vorliegenden Klage in Höhe von DM 36.876,69. Im Rahmen einer Stufenklage begehrt die Klägerin Ersatz des Schadens, der ihr dadurch entstanden ist, dass sie die von Dritten bezogenen Waren über die Beklagte einkaufen musste. Zur Vorbereitung ihres entsprechenden Zahlungsantrages möchte die Klägerin Auskunft darüber, zu welchem Betrag die Beklagte die Gegenstände, die sie für die Klägerin von Dritten bezogen hat, eingekauft hat. Die Klägerin vertritt hierzu die Ansicht, dass in dem Franchisevertrag eine unzulässige Preisbindung enthalten sei und dass auch die Bezugsbindung kartellrechtswidrig sei. Denn die Bezugsbindung für Drittwaren sei dem Franchise System nicht immanent. Zum Handelsvertreterausgleich behauptet die Klägerin zuletzt, dass die Beklagte den Franchisevertrag gekündigt habe. Nach der Eröffnung des Geschäftslokals im Februar 1997 habe die Klägerin einen Umsatz mit Stammkunden von 30 Prozent gemacht. Berechnet von dem letzten Jahresumsatz (DM 245.844,60) ergebe sich ein Provisionsausfall von DM 73.753,38, von dem die Klägerin die Hälfte geltend macht. ...
Die Entscheidung
Die Klage ist zum Teil begründet. Der Klägerin steht zunächst ein Ausgleichsanspruch in analoger Anwendung des § 89 b HGB in der geltend gemachten Höhe zu. Die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung dieser Vorschrift sind im vorliegenden Fall eines Franchisevertrages gegeben und zwar aus den gleichen Gründen wie bei den Verhältnissen der Kfz Eigenhändler. Dort ist Voraussetzung für die analoge Anwendung des § 89 b HGB, dass der Eigenhändler in die Absatzorganisation des Lieferanten eingegliedert ist und bei Vertragsende seinen Kundenstamm übergeben muss (vgl. BGH ZIP 87, 1383, 1385). Im vorliegenden Fall besteht eine ungewöhnlich starke Einbindung des Franchisenehmers. Sie beginnt bei einer Alleinbezugsverpflichtung des Franchisenehmers, setzt sich fort in der vorgegebenen "corporate identity", den gemäß § 4 des Franchisevertrages bis ins einzelne gehenden Vorgaben über die Betriebsführung und endet schließlich in der Verpflichtung des Franchisenehmers, täglich seine Kasseneinnahmen bei dem Franchisegeber abzuliefern, um im Rahmen der monatlichen Abrechnung seine Provision ausgezahlt zu bekommen. Allerdings enthält der Franchisevertrag keine Verpflichtung der Klägerin, bei Vertragsende ihren Kundenstamm auf die Beklagte zu übertragen. Darauf kommt es aber auch nicht an. Entscheidend ist, ob der Lieferant sich die Vorteile des Kundenstammes sofort und ohne weiteres nutzbar machen kann (BGH ZIP 87, 1383, 1385) Bei dem Betrieb einer Bäckereiverkaufsstelle gibt es aufgrund der herrschenden Anonymität keine Kundenlisten, die ausgehändigt werden könnten. Die Kunden kommen, weil und solange die Verkaufsstelle geöffnet ist. Weil die von der Klägerin betriebene Verkaufsstelle nach Vertragsende sofort anderweitig besetzt wurde, konnte die Beklagte mit dem bisherigen von der Klägerin geworbenen Kundenstamm weiterhin Geschäfte machen - sei es auch nur mittelbar über einen neuen Franchisenehmer. Dies reicht für eine analoge Anwendung des § 89 b HGB bei Franchisenehmern aus (vgl. Küstner/Thume Handbuch des gesamten Außendienstrechts, Band 3, Randnr. 1820). In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Provisionszahlung an einen Nachfolger keinen Einfluss auf den Ausgleichsanspruch des Vorgängers hat (vgl. Küstner/ v. Manteuffel, Handbuch des gesamten Außendienstrechts, Band 2, Randnr. 973).
Geworben hat die Klägerin neue Kunden schon dadurch, dass sie ihre Verkaufsstelle betrieb und offen hielt; insoweit reicht für das Zustandekommen der Geschäftsbeziehungen Mitursächlichkeit aus (BGH a.a.O.).
Nach dem letzten Vortrag der Klägerin ist davon auszugehen, dass das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien durch Kündigung der Beklagten beendet wurde. Die Klägerin hat zu den Einzelheiten der Kündigung substantiiert vorgetragen, die Beklagte hat dies mit Nichtwissen bestritten. Gemäß § 138 Abs. 4 ZPO ist eine Erklärung mit Nichtwissen über eine eigene Handlung oder Erklärung jedoch unzulässig, so dass die von der Klägerin behauptete Kündigung als unstreitig anzusehen ist. Sollte die Beklagte eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen haben, wäre diese unwirksam, weil kein wichtiger Grund vorliegt. Jedenfalls stellt die Nichterfüllung der mit der Widerklage verfolgten Auskunftsansprüche keine derart schwerwiegende Vertragsverletzung dar, als dass deswegen ohne Abmahnung fristlos gekündigt werden könnte.
Bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs ist von der Provision des letzten Vertragsjahres aus Neukundengeschäften auszugehen, die auf das handelsvertreterübliche Maß zurückgeführt werden muss, da der (höhere) Rabatt etwa eines Eigenhändlers auch für einen Handelsvertreter atypische Risiken mitvergütet BGH NJW 98, 67 ff.).
Da die Klägerin die Verkaufsstelle erstmals eröffnet hat, ist sie für die Werbung sämtlicher Kunden mitursächlich geworden. Einen künftigen Vorteil zieht die Beklagte andererseits aber nur aus Neukunden, die Stammkunden wurden. Nachvollziehbare Angaben zum Stammkundenanteil machen die Parteien nicht Aufgrund der örtlichen Gegebenheiten, die der Kammer bekannt sind, spricht jedoch alles dafür, dass der Stammkundenanteil von der Klägerin mit 30 Prozent deutlich zu niedrig gegriffen wurde, weshalb er für das Begehren der Klägerin allerdings zugrunde gelegt werden kann. Die Verkaufsstelle befindet sich in einer Fußgängerzone im Stadtteil [...] mit dichter städtischer Bebauung und zahlreichen Wohnungen und Geschäften im Umfeld. Bedenkt man, dass Produkte einer Bäckerei möglichst auf kurzen Wegen besorgt werden, dürfte ein ganz erheblicher Umsatz auf Anwohner oder Beschäftigte in der näheren Umgebung entfallen, bei denen es zu einer Fluktuation nur durch Wohnungs bzw. Arbeitsplatzwechsel kommt, in der Regel also nur selten. Das gleiche gilt für die Cafebesucher. Zu berücksichtigen ist allerdings eine Abwanderungsquote. Der Rechtsprechung geht beim Handelsvertreter von Abwanderungsquoten in Höhe von 10 % bis 25 % aus (vgl. Martinek, Handbuch des Vertriebsrechts § 11, Randnr. 18). Der BGH hat bei einem Tankstellenbetrieb einer Abwanderungsquote von 20 % gebilligt (vgl. NJW 98, 66). Die Kammer hält diesen Wert auf den vorliegenden Fall für übertragbar und geht zugunsten der Beklagten von 25 % aus. Da die Handelsspanne des Franchisenehmers auch Tätigkeiten vergütet, die für einen Handelsvertreter nicht typisch sind, der Ausgleich aber nur die werbende Tätigkeit belohnen soll, müssen aus der Handelsspanne Vergütungsanteile für verwaltende Tätigkeiten herausgerechnet werden. Da Warenpräsentation bzw. Lagerhaltung bei einem Bäckereibetrieb zur Kundengewinnung unabdingbar sind, bleibt als verwaltende Tätigkeiten lediglich das Inkasso, das die Kammer mit 10 % bewertet (so auch der BGH in dem Tankstellenfall NJW 98, 69). Einen höheren Verwaltungskostenanteil hat die insoweit darlegungs und beweispflichtige Beklagte nicht vorgetragen zur Beweislast: BGH NJW 96, 2298). Schließlich ist unter dem Aspekt der Billigkeit (§ 89 b Abs. 1 Nr. 3 HGB) der Umstand zu berücksichtigen, dass der Erfolg der Klägerin nicht nur auf deren Tätigkeit sondern auch auf der Verwendung der er im Rhein Main Gebiet bekannten Bezeichnung "[...]" beruht sogenannte Sogwirkung der Marke. Die Kammer hält deswegen einen pauschalen Abzug von 25 % für angemessen (vgl. dazu BGH ZIP 87, 1383, 1386).
Ein Abzug für ersparte Kosten kam dagegen nicht in Betracht. Grundsätzlich können ersparte Kosten des Handelsvertreters unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit berücksichtigt werden, allerdings nur dann, wenn sie besonders hoch sind (BGH NJW 64, 915). Dabei kommt es auf die Betrachtung des Einzelfalls unter Berücksichtigung der betroffenen Branche an (vgl. Küstner/v. Manteuffel, Handbuch des gesamten Außendienst rechts, Band 2, Rdnr. 945), wozu die Beklagte jedoch nichts vorgetragen hat. Die Nettoprovision des letzten Vertragsjahres betrug DM 245.844,60. Dieser Betrag, den die Beklagte nur unsubstantiiert bestritten hat, ist der folgenden Abrechnung zugrunde zu legen:
Provisionen des letzten Vertragsjahres DM 245.844,60
30 % Stammkundenanteil DM 73.753,80
abzüglich 25 % Abwanderung (DM 18.438,45) DM 55.315,35
abzüglich 10 % Verwaltungskostenanteil
(DM 5.531,53) DM 49.783,82
abzüglich 25 % Sogwirkung (DM 12.445,95) DM 37.337,86
Eine Abzinsung hat nicht zu erfolgen, weil die Klägerin den Ausgleich erst nach Ablauf des Prognosezeitraumes begehrt. Berücksichtigt man weiterhin, dass die Klägerin von Nettoprovisionen ausgeht, während richtigerweise Bruttoprovisionen dem Ausgleichsanspruch zugrunde zu legen sind (vgl. BGH ZIP 87, 1383, 1387), und dass die Klägerin den Prognosezeitraum mit nur einem Jahr anstelle üblicher zwei bis drei Jahre (vgl. Baumbach/Hopt, HGB, § 89b, Rdnr.16) bemisst, erscheint im Wege der Schätzung der eingeklagte Betrag von DM 36.876,69 als billiger und angemessener Ausgleich. ...
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