Dr. Prasse & Partner

Ihre Spezialisten im
Franchise-Recht

OLG Hamm, Urteil vom 02.07.1986, Az.: 4 U 46/68

Zur Sittenwidrigkeit einer Vereinbarung über Einsicht in die Geschäftsbücher zwischen selbständigen Unternehmern

Leitsatz

Leitsatz der Redaktion: Eine Vereinbarung in einem Franchisevertrag, die Einsichts- und Kontrollrechte des Franchisegebers regelt, kann nichtig sein, wenn das Einsichtnahmerecht den Franchisenehmer eine das Vertrauen untergrabende Kontrolle darstellt.

Zum Sachverhalt

Der Kaufmann K. errichtete auf einem gepachteten Grundstück einen Verkaufspavillon. Er steht mit der Klägerin, der I. GmbH, die einen Warengroßhandel betreibt, in Geschäftsbeziehung. Die Beklagten schlossen mit K. einen Mietvertrag, in dem es u. a. heißt: „... Für die Dauer des Mietvertrages verpflichten sich die Eheleute P., sämtliche Waren, die in der Verkaufshalle gehandelt werden, nur bei der Firma I. GmbH ... zu beziehen. Die Belieferung erfolgt zu den normalen Großhandelspreisen, und zwar gegen Barzahlung bei Lieferung. Die Geschäftsbücher sind mindestens zweimal monatlich einem Beauftragten der Firma I. GmbH vorzulegen, und zwar alle Unterlagen, die auch zur Kontrolle für das Finanzamt und das Stadtsteueramt notwendig sind ... Sollten wider Erwarten die Eheleute P. die Vertragsbedingungen nicht einhalten, so werden von der Firma I. GmbH volle Regreßansprüche für den entgangenen Gewinn gegen die Eheleute P. geltend gemacht.“ Die Klägerin behauptete, die Beklagten bezögen seit einiger Zeit keine Waren mehr von ihr und müßten ihr deshalb Schadenersatz leisten. Sie beantragte, die Beklagten zu verurteilen, ihr die Geschäftsbücher über den Handel im Verkaufspavillon, und zwar das Wareneingangsbuch und das Journal, zur Einsichtnahme vorzulegen. Das OLG Hamm hat die Klage in der Berufungsinstanz abgewiesen.

Die Entscheidung

Der mit der Klage verfolgte Anspruch auf Einsicht in die Geschäftsbücher läßt sich nach dem Vortrag beider Parteien ausschließlich auf den Vertrag vom 03.06.1960 gründen. Dieser Vertrag ist jedoch nichtig, weil er im Sinne von § 138 Abs. 1 BGB gegen die guten Sitten verstößt. Die Sittenwidrigkeit ergibt sich insbesondere aus dem Teil des Vertrages, durch den die Beklagten verpflichtet werden sollten, mindestens zweimal monatlich einem Beauftragten der Firma I GmbH die Geschäftsbücher vorzulegen, und zwar alle Unterlagen, die auch zur Kontrolle für das Finanzamt und Stadtsteueramt notwendig sind. Die Klägerin selbst ist nicht Vertragspartner der Beklagten. In dem Vertrag wird sie als Beteiligte an den Abmachungen nicht aufgeführt. Sie hat den Vertrag auch nicht unterschrieben. Verpflichtungen gegenüber den Beklagten ist sie nach dem Wortlaut des schriftlichen Vertrages auch nicht eingegangen, wenn man davon absieht, daß sie sich bereit erklärt hat, die Belieferung mit den Waren zu den „normalen Großhandelspreisen“ vorzunehmen. Demgegenüber werden ihr Rechte, wie das auf Lieferung sämtlicher Waren an die Beklagten und das hier streitige auf Einsicht in die Geschäftsbücher, und zwar innerhalb eines Monats zweimal, eingeräumt, die nicht nur angesichts der Stellung der Klägerin außerhalb des Vertrages ungewöhnlich sind, sondern die in einer unerträglichen Weise die geschäftliche Dispositions- und Handlungsfreiheit der Beklagten beeinträchtigen. Zwar ist nicht jede Beschränkung der wirtschaftlichen Freiheit ohne weiteres sittenwidrig. Wohl aber ist es ein Vertrag, der den Verpflichteten ganz oder fast ganz der wirtschaftlichen Freiheit beraubt. So liegen die Dinge hier. Die Beklagten stehen praktisch unter einer ständigen, jede einzelne Phase ihrer betrieblichen Bewegungsfreiheit erfassenden Geschäftsaufsicht der Klägerin, und zwar auch bezüglich derjenigen waren, die sich nach den Vereinbarungen nicht von der Klägerin beziehen müssen. Die Klägerin kann sich, um ihr Warenlieferungsrecht gegenüber der Beklagten durchzusetzen, durch die auf kurze Zeiträume erweiterte Einsicht in die Geschäftsbücher jederzeit ein vollständiges Bild über den Umsatz der Beklagten, die Art der Waren, ihre Bezieher, die Zahlungs- und Geschäftsbedingungen, kurz der gesamten geschäftlichen Tätigkeit der Beklagten verschaffen. Eine so weitreichende Möglichkeit auf Einsicht in einer der Klägerin fremdes geschäftliches Unternehmen trägt alle Züge einer das Vertrauen untergrabenden Überwachung, die ein selbständiger Unternehmer nicht auf sich nehmen muß. Es begründet außerdem die Gefahr, daß die Beklagten im Hinblick auf die ihnen ständig drohende Überwachung unter eine psychologische Zwangslage geraten, die sie daran hindert, in einer unserer Rechtsordnung gemäßen Weise vollkommen freiheitlich zu entscheiden und geschäftliche Beziehungen zu pflegen. In diesem Zusammenhang gewinnt auch die enge Koppelung des Verlangens auf Bucheinsicht mit der Bezugsverpflichtung besonders Gewicht und läßt beide Abmachungen als grob sittenwidrig erschienen. Da die Klägerin weder nach dem Vertrag noch praktisch den Beklagten gegenüber zu irgendwelchen Leistungen verpflichtet ist, erhalten diese kein Äquivalent als Ausgleich für ihre weitgehenden Bindungen an die Klägerin. Vereinbarungen, die darauf hinauslaufen, kann das Gesetz nicht anerkennen, sie sind nichtig. Der Hinweis der Klägerin auf vorgeblich ähnliche Verhältnisse bei Bierbezugsverpflichtungen geht fehl. Die tatsächlichen Voraussetzungen in diesen Fällen sind andere. Die Bierbezugsverpflichtung beschränkt sich auf einen vielfach verhältnismäßig kleinen Teil der von dem Schuldner umgesetzten Waren. Der Gläubiger erbringt zumeist umfangreiche finanzielle Gegenleistungen an den Schuldner oder den Grundstückseigentümer, so daß ein echtes Äquivalent für die Verpflichtungen des Schuldners besteht, und die über den Bierbezug hinausgehende geschäftliche Handlungs- und Dispositionsfreiheit des Verpflichteten wird nicht so weitgehend beeinträchtigt, wie dies hier der Fall ist.

Fazit

Die Entscheidung des OLG Hamm -eine der ältesten Entscheidung deutscher Gerichte zum Franchiserecht- kann nur mitEinschränkungen auf moderne Franchiseverträge übertragen werden. Franchiseverträge die Kontroll- und Einsichtnahmerechte bestimme, die keine sachliche Rechtfertigung haben, sind in der heutigen Praxis selten. Es ist jedoch durchaus gängige Praxis, dass Franchisenehmer unangemeldete Kontrollen erdulden müssen und dass Umsatzdaten online per Kassen-Daten-Fernübertragung vom Franchisegeber erfasst werden. Auf den Franchisenehmer mehr als erforderlich in seiner unternehmerischen Freiheit einschränkenden und sachlich nicht gerechtfertigte Kontroll- und Einsichtnahmerechte lassen die Erwägungen des OLG Hamm allerdings durchaus anwenden. Dies gilt insbesondere deshalb, weil die Entscheidung die Sittenwidrigkeit nicht ausschließlich aus dem Fehlen von Gegenleistungen herleitet.

Bitte stimmen Sie der Datenschutzerklärung zu.

Wir sind für Sie da:

Dr. Prasse & Partner mbB Rechtsanwälte

Hamburg: 040 46655420
München: 089 71692463
Zürich: +41 43 508 91 73

Sitz der Gesellschaft:
Rathausplatz 9
22926 Ahrensburg

Telefon (0 41 02) 6 95 96-0
Telefax (0 41 02) 6 95 96-11
E-Mail: office@prasse-partner.de

Die anderen Kanzleien sind Zweigstellen der Rechtsanwälte
Dr. Christian Prasse und Michael Strotmann